Vor dem Comming Out

Mein Leben vor dem Comming Out

Jetzt versuch ich mich mal an einem Thema, über das ich eigentlich noch nie gut schreiben konnte, mal schauen was draus wird. Hier werden hauptsächlich meine negativen Erlebnisse und Gefühl beschrieben. Es gab natürlich auch positives, aber das ist nicht so stark haften geblieben und ich suche hier vielleicht auch eine Erklärung warum mein Outing erst 1996 kam. Ich werde sicher nicht mein ganzes Leben hier beschreiben, das ist einfach nicht möglich und will ich auch nicht. Ihr werdet merken, das es teilweise Zeitsprünge von mehreren Jahren gibt. Entweder will ich über die Jahre dazwischen nichts schreiben oder es gab keine besonderen Ereignisse, die mir einfallen.

Ich denke ich versuch mal die Zeit ab dem Kindergarten zu beschreiben, denn ab da fing es glaube ich an, das ich Probleme mit mir und meiner Umwelt bekam.

Ich war 5 Jahre alt, als ich in den Kindergarten musste, da meine Mutter an Krebs erkrankt war. Kinder merken schnell wenn man "anders" ist und lassen das auch einen spüren. Ich wollte natürlich immer mit den Jungs spielen, aber ich wurde von diesem meistens nur gehänselt. Das tat verdammt weh. Meine Reaktionen waren dann Aggressivität und ein endloser Kampf um Anerkennung.

In der Grundschule war es auch nicht anders, mein Verhalten lud nicht gerade zu meiner Beliebtheit bei. Aber ein Kind entwickelt einfach eine Abwehrmauer, mit den Möglichkeiten die es hat. Und die Aggressivität war meine Mauer. Ich hatte keine Lust auf Schule, ja sogar manchmal Angst hinzugehen. Aber was blieb mir anderes übrig. Zuhause habe ich nie was von meinen Problemen in der Schule erzählt. Wieso? Ich habe mit bekommen das meine Mutter sehr krank war. Was die Krankheit wirklich bedeutete war mir sicher nicht bewusst. Aber ich spürte die Sorge die sich in der Familie breit machte. Also konnte ich doch nicht noch mit meine Sorgen kommen. Und ich glaube ich habe mich geschämt. Warum? Ich weiß es nicht. Ich hatte schon einige Freunde damals. Die Jungs mit denen ich aufgewachsen bin. Aber diese Freundschaften änderten sich später dann doch gravierend.

Ich erinnere mich noch genau an den 18. Oktober 1973. Ich kam nach der Schule nach hause, und der Pfarrer war bei meiner Mutter um Ihr die letzte Ölung zu geben. Erst in dem Moment wusste ich, das meine Mutter sterben würde. Mit mir hatte man nie darüber gesprochen. Es war ein Schock. Denn durch den Religionsunterricht wusste ich was das heißt. Ich ging in das Kinderzimmer und setzte mich aufs Bett und weinte. Dann kam mein Großvater und versuchte mich zu trösten. An diesem Tag fuhr ich mit meinen Großeltern mit und schlief dort. Am nächsten Tag sagte mir mein Opa dann, das meine Mama bei den Engel sei. Ich fing an zu weinen, und diese Tränen weinte ich noch sehr viele Jahre immer wieder, aber nur wenn ich alleine war. Und auch die Gefühle dieses Morgens haben mich lange Jahre nicht losgelassen. Es waren Wut, Verzweiflung, und Hilflosigkeit. Ich glaube das mir am meisten die Wut zu schaffen gemacht hat. Ich habe meine Mama doch geliebt, da darf ich doch nicht wütend sein, das sie weggegangen ist, sie konnte doch gar nichts dafür. Und da war ein großes Loch, das plötzlich da war. Das Schmerzhafte Gefühl eines riesigen Verlustes. Aber darüber reden ging halt nicht.

Nach dem Tod meiner Mutter, kamen meine Großeltern jeden Tag zu uns und versorgten mich und meinen Bruder. Wenn mein Vater von der Arbeit kam, fuhren sie wieder nach hause. Meine Großmutter war sehr konservativ und wollte aus mir ein Mädchen machen. Deswegen hatten wir dann auch oft Streit. Mein Opa akzeptierte mich so wie ich war, und vermittelte zwischen meiner Oma und mir.

Ich kann mich an einen Tage erinnern, da war ich etwa 10 Jahre alt. Ich hatte mal wieder Streit mit meiner Oma. Sie ging dann aus dem Haus mit dem Spruch sie gehe sich ertränken. Ich weinte wie Jeck und schaute verzweifelt aus meinem Zimmerfenster. Kurz darauf kam mein Opa und fragte was los sei. Als ich ihm das erzählte, wurde er richtig sauer, und als meine Oma wieder kam, hat sie richtig Stress mit meinem Opa bekommen. Hier kamen meine Verlustängste, die ich mit dem Tod meiner Mutter aufgebaut habe, zum ersten mal zum Vorschein. Mir ging es ziemlich mies.

Auf der Hauptschule, war es genauso wie auf der Grundschule. Unterricht machte mir keinen Spaß, mit Klassenkameraden kam ich nicht klar. Meine Energien verwendete ich dafür um die Mauer, die ich um mich aufgebaut hatte, aufrecht zu erhalten. Die Ressourcen fürs lernen waren entsprechend gering. Das machte sich auch auf der Handelsschule bemerkbar, diese musste ich nach einem Jahr ohne Abschluss verlassen.

Ich bekam noch eine Lehrstelle als Verkäuferin, aber auch hier war ich das schwarze Schaf. Und nach 10 Monaten habe ich hingeschmissen. Ich war halt kein sehr liebenswerter Mensch. Und sicher habe ich einiges dazu beigetragen, das mein Leben so verlaufen ist.

Mit 17 fing ich an mich selbst mir Glasscherben zu verletzen. Am Anfang war es nur wenn ich Alkohol getrunken hatte. Ich landete das erste mal in der Psychiatrie. In dieser Zeit Starb meine Großmutter. Richtig weinen konnte ich irgendwie nicht. Es tat weh, aber es kam nicht wirklich an mich heran. Meine Familie und ich kümmerten uns sehr um meinen Opa. Zu dieser Zeit habe ich eine Psycho-Therapie in einer Tagesklinik in Köln begonnen und hatte diese im Juni 1983 abgeschlossen. Genau zu diesem Zeitpunkt, 10 Monaten nach dem Tod meiner Oma, starb auch mein Opa und für mich war nur noch ein riesiges schwarzes Loch da. Ich verletzte mich immer häufiger und bekam eigentlich nichts auf die Reihe. Auch wenn ich an die ersten Monate danach denke, kann ich mich kaum noch an diese Monate erinnern. Selbst jetzt tut es noch verdammt weh.

Im September habe ich dann angefangen meine "Mittlere Reife" an der VHS Köln nachzuholen. Hier kam ich dann doch ganz gut mit den Klassenkameraden klar. Es waren bis auf zwei alle Älter als ich und sie akzeptierten mich wie ich war. Ich beendete die Schule mit einem Durchschnitt von 2,0 und fand eine Ausbildungsstelle zum Bürokaufmann bei der Bayer AG.

Über die 3 Jahre Ausbildung möchte ich nicht viel schreiben. In den einzelnen Abteilungen, die ich während meiner Ausbildung durchlief, hatte ich keine Probleme. Allerdings hatte ich mit den Berufsschülern in meiner Klasse nicht den besten Kontakt. Es gab 4 Leute mit denen ich etwas mehr Kontakt hatte, mir denen ich gut klar kam und sich zu einer Mitschülerin, die auch bei Bayer arbeitete, eine Freundschaft

Während der Ausbildung und auch noch bis 1996 folgten immer wieder Selbstverletzungen und auch Suizidversuche. Wie oft ich in der Psychiatrie gelandet bin, weiß ich gar nicht mehr. Auf jedenfall war zu keinem Zeitpunkt die Rede von Transsexualität.

Die Ausbildung schloss ich 1988 mit der Kaufmannsgehilfen-Prüfung ab. Es war kein guter Abschluss, aber ich hatte es geschafft. Anschließend bekam ich einen Arbeitsvertrag bei Bayer und landete in der Zollabteilung. Ich möchte aus Rücksicht auf meine Ex-Kollegen, nicht über die Zeit bei Bayer berichten. Das damalige Verhältnis zu den meisten von Ihnen, war nicht sehr gut, was auch zum Teil an meinem Auftreten und meinen Krankheitszeiten lag. Es wäre unfair gegenüber den Kollegen, diese Zeiten, mit dem heutigen Wissen über mich, hier aufarbeiten zu wollen.

1989 bekam mein Vater einen Herzinfarkt. Es kamen wieder die ganzen Ängste, die ich nur unterdrückte, hoch.  Ich hatte höllische Angst, das ich meinen Vater nun auch verlieren werde. Aber das passierte nicht. Die Konsequenz für mich war, das ich noch weniger über meine Probleme reden konnte, ich wollte meinen Papa nicht verletzen, bzw. ihn auch noch mit meinen Sorgen belasten.

Die nächsten 3 Jahre sind teilweise ein schwarzes Loch. Nicht weil ich mich nicht daran erinnern kann, sondern nicht will. Für mich persönlich wurde es immer schwieriger zu überleben. Um die ganze vertrackte Situation auszuhalten, fing ich an zu kiffen. In diesen Kreisen schaute keiner wirklich hin, wie der andere Auftritt, wie er sich verhält, männlich oder weiblich. Es war mir möglich, mit den Drogen, irgendwie zu überleben. Nicht wahnsinnig zu werden. Ich konnte entspannen, mich intensiv der realen Welt zu entziehen. Ich hatte das Gefühl akzeptiert zu werden wie ich bin, was letztendlich auch ein Trugschluss war.

Im September 1993 zog ich von zuhause aus. Es viel mir nicht leicht, aber ich wollte endlich mein Leben leben und nicht die ganze Zeit mit meinen Ängsten um meinen Vater konfrontiert sein. Das erste Jahr fuhr ich fast jeden Tag zu meinem Vater. Meine ganzen Freunde lebten in Bergisch Gladbach und ich wollte und konnte nicht alleine sein.

Doch dann habe ich auch beschlossen, das es mir nicht wirklich hilft, wenn ich jeden Tag zu meinem Vater fahre, jeden Tag kiffe um zu überleben. Ich wollte doch endlich selbständig werden. Ich dachte, naja, die Leute aus Refrath werden mich sicher ja auch mal besuchen kommen, aber dem war nicht wirklich so. Es blieb aus diesen Kreisen nur eine Freundin, die auch heute noch meine beste Freundin ist.

1992 oder 1993, ich weiß es nicht mehr genau, habe ich eine Psychotherapie begonnen. Das erste Jahre war für meinen Therapeuten und mich nicht gerade einfach. Das Wort ´Vertrauen haben, war für mich ein Fremdwort, und ich konnte nicht über die wirklich wichtigen Sachen reden. Und schon gar nicht von mir aus. Mein Therapeut war wirklich klasse. Ich habe ihn am Anfang der Therapie gebeten, mich zu Fragen, keine Stunde in Stille vergehen zu lassen. Denn das wäre der Horror für mich gewesen. Und er hat gefragt und es gab keine ruhige Stunde. In diesem ersten Jahre haben wir beide mehrmals überlegt ob die Therapie überhaupt einen Sinn macht. Aber, dank der Hartnäckigkeit meines Therapeuten, habe ich nach etwa eine Jahr die ersten Erfolge gesehen, und fasste immer mehr Vertrauen. Aber was das wichtigste war, ich hatte immer das Gefühl, so akzeptiert zu werden, wie ich war. Das ich gar nicht so ein unliebenswerte Mensch war, der ich glaubte zu sein.

In den nächsten 3 Jahren änderte sich für mich nichts. Aber 1996 kam es dann zu einem Selbstmordversuch, der fast geklappt hätte. Wäre nicht durch Zufall eine Nachbarin gekommen, wäre es wohl vorbei gewesen. Ich wollte einfach nicht mehr. Ich wusste einfach nicht was los wahr mit mir, ich fand keine Namen für meine Gefühle, mein Denken. In der Therapie hatte ich alle meine Probleme, zumindest die worüber ich reden konnte, verarbeitet oder zumindest soweit in den Griff bekommen, das ich damit leben konnte.

Mir wurde dann immer klarer, das es mit meinem Körper zusammen hängt. Auf der Heimfahrt, nach einer Therapiestunde, kam einfach nur der Gedanke auf, das ich ein Mann und keine Frau bin. Ich fing an zu weinen und fuhr auf den nächsten Parkplatz. Ich hatte Angst, was jetzt, was kann man machen, wie soll ich so weiterleben.